Neue Ideen für die Seniorenbetreuung

Neue Ideen für die Betreuungsarbeit

Einsamkeit bei Senioren

Wie können Betreuungskräfte helfen?     

Bei einer Umfrage unter hochbetagten Menschen über 85 Jahre gaben fast 40% an, sich häufig einsam zu fühlen. Sozialwissenschaftler verstehen unter Einsamkeit einen Mangel an authentischen, bedeutsamen, wertschätzenden Beziehungen. Die Betroffenen fühlen sich unglücklich und sind zutiefst unzufrieden über die Situation. Fehlen über längere Zeit ausreichende und authentische soziale Kontakte, dann entsteht Isolation und chronische Einsamkeit. Corona hat auch so manchen jüngeren Menschen diese Erfahrung gebracht.

Alleine ist nicht gleich einsam

Viele Menschen suchen bewusst menschenleere Orte auf, wie z.B. den Wald oder die Berge, um dort Erholung zu finden. Stille, Rückzug und Abgeschiedenheit können positiv erlebt werden. Ein Gefühl der Einsamkeit ist also subjektiv und muss nicht automatisch entstehen, wenn jemand alleine ist. Auch alte Menschen brauchen manchmal diesen Rückzug, z.B. um Trauer verarbeiten zu können.

Umgekehrt können Menschen sich mitten unter anderen Menschen einsam fühlen. Auch Personen, die einen großen Kreis von Verwandten und Bekannten haben, können sich  einsam fühlen. Eine Heimbewohnerin, die täglich viele Stunden im Aufenthaltsraum mit vielen anderen Bewohnern verbringt, kann sich – entgegen dem äußeren Schein – einsam fühlen.

Fazit: Wer einsam ist, dem fehlen nicht einfach Menschen - sondern das Gefühl, von ihnen beachtet, anerkannt und wertgeschätzt zu werden.

Einsamkeit als Tabuthema

Wer einsam ist, spricht nicht gern darüber. Einsamkeit ist ein Tabu. In Deutschland wird mehr auf die körperlichen Bedürfnisse als auf die Bedürfnisse der Seele geachtet.

Einsamkeit im Alter kann für die Betroffenen eine Qual sein. Niemand ist mehr da, der zuhört, der Sorgen und Nöte teilt. Gleichzeitig sind die Sorgen meist mehr geworden.

Das Deutsche Zentrum für Altersfragen (DZA) berichtet: Jeder vierte alte Mensch erhält nur einmal im Monat Besuch von Freunden oder Bekannten. Die Zahl der Selbsttötungen ist in keiner Altersgruppe so hoch wie bei den über 80-Jährigen.

Alter – Verluste – Alleinsein

Alte Menschen erleben häufig große Verluste. Der Ehepartner stirbt, gute Freunde sterben. Bei sehr hochaltrigen Menschen kommt es auch vor, dass deren ebenfalls schon alte Kinder sterben, was oft als besonders traumatisch erlebt wird.

Nicht vergessen sollte man die Haustiere. Laut einer gfk-Studie unter Senioren empfanden 52% ihr Haustier als Ersatz für fehlende menschliche Nähe. Alte Menschen werden oft jahrzehntelang von einem Haustier, z.B. einem Hund, begleitet. Haustiere tragen stark zur Lebenszufriedenheit alter Menschen bei. Da kann der Abschied vom treuen Hund so schmerzhaft erlebt werden, wie der Verlust eines Angehörigen.

Ein Verlust der Mobilität trägt ebenso häufig dazu bei, dass Menschen soziale Kontakte verlieren. Wenn das Autofahren nicht mehr funktioniert, können Freunde nicht mehr besucht werden. Ist das Gehen betroffen, können manche alleinlebende Senioren das Haus überhaupt nicht mehr verlassen. Die eigene Wohnung wird quasi zu einem Gefängnis. Hinzu kommt, dass Menschen im hohen Alter meist nicht mit modernen Medien vertraut sind. Dadurch verlieren sie auch den „Draht“ zur Enkel- und Urenkel-Generation.

Einsamkeit als Gesundheitsrisiko – Demenzrisiko steigt

„Einsamkeit ist mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden.“ Diese eindeutige Aussage machen Forscher der Florida State University aufgrund einer großangelegten Langzeitstudie. Sie konnten nachweisen, dass Personen, die sich einsam fühlen, ein um 40% erhöhtes Risiko haben, an Demenz zu erkranken. Andere Studien belegen, dass einsame Menschen viel häufiger an Depressionen erkranken. Vorhandene Schmerzen durch Erkrankungen wie Rheuma oder Arthrose werden durch Einsamkeit nachweislich verstärkt. Ja die Einsamkeit selbst kann von Betroffenen als Schmerz erlebt werden. Es wurde nachgewiesen, dass Einsamkeitsgefühle tatsächlich das Schmerzzentrum im Gehirn aktivieren.

Besonders betroffen: Menschen mit Demenz

Der Sozialwissenschaftler Tom Kitwood wies auf die grundlegenden psychischen Bedürfnisse des Menschen hin. Darunter die Bedürfnisse Trost zu erfahren, in Bindungen zu leben und Einbeziehung in Gruppen zu erleben. Wenn bei gesunden Menschen eines dieser Bedürfnisse nicht gestillt wird, dann können sie selbst für Abhilfe sorgen (etwa, indem sie einem Verein beitreten).

Menschen mit Demenz erleben es genau wie Gesunde als seelischen Mangelzustand, wenn Trost, Nähe, Einbeziehung fehlen. Aber sie können ihr Mangelempfinden nicht ausdrücken und erst recht nicht selbst für Abhilfe sorgen. Die Suche nach Gemeinschaft, Bindung und Geborgenheit findet dann manchmal ihren Ausdruck darin, dass demente Menschen ständig einer Pflegekraft oder einem Angehörigen hinterherlaufen oder andere Heimbewohner „belästigen“.

Genau hier beginnt die Aufgabe von Betreuungskräften. Seien Sie aufmerksam für Anzeichen von Einsamkeit. Bieten Sie sich als Gesprächspartner an, aber gehen Sie noch darüber hinaus. Organisieren Sie weitere Helfer und Netzwerke. Dies ist effektiver, denn Sie alleine können dem nicht ausreichend Einbeziehung bieten.

Das können Betreuungsassistentinnen tun:

  • motivieren zur Teilnahme an Gruppenangeboten und wenn nötig auch dahin begleiten (Einbeziehung)

  • sich als Gesprächspartner anbieten / validierende Gespräche / aktives Zuhören (Bindung / Trost)

  • körperliche Nähe anbieten – z.B. Umarmung, Hand halten (Trost)

  • Kontakte zwischen Bewohnern herstellen und fördern (Bindung)

  • Kontake der Bewohner zu Freunden, Bekannten, Verwandten herstellen und fördern

    (per Brief, Telefon, skype, zoom, email etc.)

  • Besuchsdienste / Ehrenamtliche mit einbeziehen

  • evtl. Palliativteam / Hospizhelfer mit einbeziehen

  • neue Bewohner besonders in den ersten Wochen intensiver betreuen (z.B. Mitbewohner vorstellen / mit dem neuen Bewohner das Zimmer gestalten / dafür sorgen, dass vertraute Gegenstände, Bilder, Möbel ins Zimmer kommen)

  • längerfristige „Patenschaften“ zwischen alten und jungen Menschen anbahnen (z.B. mit dem Kindergarten oder dem Jugendhaus)

  • Besuchshunde organisieren oder eine „Heim-Katze“ anschaffen

  • fittere Bewohner, die gerne fürsorglich tätig sind, kann man bitten eine Art „Patenschaft“ für einen neuen oder recht zurückgezogenen Bewohner zu übernehmen (oft entsteht dies sogar von selbst und oft tut es auch dem fitteren Bewohner gut, eine Aufgabe zu haben)

Bei Betreuung im häuslichen Bereich:

  • Kontakte zu Nachbarn fördern bzw. herstellen

  • Kontakte zu Kirchengemeinde, Selbsthilfegruppen, Vereinen fördern bzw. herstellen

  • Gespräche mit Angehörigen führen und erklären, dass der alte Mensch Kontakte auch außerhalb der pflegenden Angehörigen braucht

  • wenn möglich, mit der betreuten Person belebte Plätze aufsuchen (z.B. Marktplatz, Cafés), wo sie anderen Menschen begegnen kann

  • dafür sorgen, dass der alte Mensch auch technisch in die Lage versetzt wird, selbständig Kontakte zu pflegen (z.B. durch ein seniorengerechtes Telefon, das einfach zu bedienen ist)

  • Wenn Senioren, noch selbständig telefonieren können, empfehlen Sie die "Telefon-Engel" des gemeinnützigen Vereins Retla e.V. - eine tolle Sache! Link: https://retla.org/telefonengel oder direkt anrufen: 089 / 189 100 26 (Hier werden kostenlos und bundesweit Telefonpartner für einsame Senioren vermittelt)
  • Denken Sie auch an die pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz! Sie leiden häufig auch sehr unter sozialer Isolation, weil Sie rund um die Uhr für den Menschen mit Demenz da sein müssen.

Lebensqualität schenken

Es geht in der Betreuungsarbeit immer darum, Menschen ein Stück Lebensqualität zu schenken.  Zum Wohlbefinden jedes Menschen gehören Nähe, Trost, Einbeziehung, Wertschätzung. Sorgen Sie dafür! Schenken Sie den hochbetagten Menschen noch ein paar schöne Lebensmomente. Sie haben als Betreuungsperson eine sehr wichtige Aufgabe!   

Volker Gehlert, Dementia Care Manager (DCM)

Hier noch einmal ein direkter Link zu den Telefon-Engeln:

Link zu Homepage der Telefon-Engel